Hunde, die bellen, beissen nicht!
Mit dieser Aussage versucht man ängstlichen Menschen die Angst vor Hunden zu nehmen. Der wohl älteste Hündeler-Spruch ist längst zum geflügelten Wort geworden. Bei Menschen, die ihren Mund weit aufreissen, mag er zutreffen, nicht aber für Hunde. Bellen ist hündische kommunikation und hat stetseinen Grund. Das kann freudige Aufregung, Frust, Erwartungshaltung, erlerntes Verhalten, Ausdruck der Angst und eine Bedrohung abwenden wollen sein. Genaues Hinhören und ein geschultes Auge helfen, den Ernst der Lage (Eskalationsstufe) zu beurteilen. Wird die problematische Situation nicht entschärft – das heisst, der Hund kann sich nicht mehr selber herausnehmen und der Halter tut es auch nicht für ihn –, bleibt dem Hund oft keine andere Wahl, als dass aus dem Bellen auch ein Beissen.
Der tut nichts, der will nur spielen!
Zweifellos hat fast jeder Jogger oder Hundehalter diesen Spruch schon gehört. Und wenn der Hund bei der Begegnung mit dem Schwanz wedelt, interpretiert das sein Mensch – im Gegensatz zur bedrohten Person – noch als Freude. Dabei ist es Aufregung pur. Spätestens wenn sich der Hund das Hosenbein geschnappt hat, dürfte klar sein, dass es kaum ein Spiel ist. Häufig gebärden sich unsichere oder ängstliche Hunde auf diese Weise. Wohin die Aufregung dann führt, hängt oft von den Reaktionen der Beteiligten ab, nicht zuletzt vom Halter selbst. Bremst der nahende Jogger nicht ab, wird die Bedrohung zu gross und kann ein defensives Aggressionsverhalten auslösen. Jetzt sind ruhiges Verhalten und Deeskalation gefragt. Laute Kommandos und «Nein!»-Schreie treiben den Hund nur an. Dasselbe gilt für Begegnungen mit Artgenossen. Es ist möglich, dass der andere Hund (wie der Jogger) keine Lust hat, mit dem aufgedrehten Hund zu spielen. Statt sich mit «… der will nur spielen» zu entschuldigen, tut man gut daran, künftig den Hund frühzeitig zu sich zu rufen und an die Leine zu nehmen.
Da muss er durch!
Bei gestandenen Hündelern hört man oft, dass der Hund «da durch muss» – selbst am Erzfeind, an der lärmigen Baumaschine oder einer anderen unangenehmen Reizquelle vorbei. Warum denn? Der Hund, der ein Problem bekundet, sich ängstigt, soll ausweichen können und vom Halter aus der Gefahrenzone herausgeführt werden. Realisiert dieser das nicht, bleibt dem Hund keine andere Wahl, als womöglich laut bellend in die Leine zu springen. Dann wird er noch mittels Leinenruck «korrigiert». Was lernt der Hund in einer solchen Situation? Er erfährt, dass er seinem Halter nicht vertrauen kann, weil dieser ihn in eine Problemsituation gebracht hat. Der Hund lernt ausserdem, dass je heftiger seine Reaktion ausfällt, sein Meister umso schneller an der Gefahrenquelle vorbeigeht. Passiert das mehrmals, so entsteht ein selbst erlerntes Verhalten, wofür dann ein Hundetrainer aufgesucht wird, der solches wieder «abstellen» soll. Vielfach braucht es dazu einen langen Desensibilisierungsprozess, bis solche eingeprägten negativen Erfahrungen wieder in ein selbstständiges, angemessenes Verhalten zurückgeführt werden können.
Die regeln das schon unter sich!
In der Wildnis mag dies stimmen: Ein Wildhund wird freiwillig kehrtmachen, wenn er in einem fremden Revier drei anderen Wildhunden gegenübersteht, denn sein Wohlergehen ist ihm zu wichtig. Doch der Haushund verhält sich je nach Rasse, Alter, Aufzucht durch den Menschen, Sozialisation und gemachten Erfahrungen eben sehr unterschiedlich, und wir leben in unserer Gesellschaft mit Hunden sehr eng aufeinander. Zweifellos verlaufen viele Hundebegegnungen gut, weil es die Hunde im Gegensatz zum Menschen oft richtig machen. Entwickelt sich bei der Begegnung ein wildes Gebaren, wasoft als Spiel bezeichnet wird, in der Realität jedoch übersprungshafte Bewegungsabläufe sind, oder das Ausführen von Aktionen wie Jagen und Treiben, kann dies bei unterschiedlich grossen Hunden zu Verletzungen führen. Aufgepasst bei Welpen: Der viel zitierte Welpenschutz existiert nicht – respektive nur im eigenen Rudel, also in der Familie. So passiert es, dass der kleine «unterlegene» Hund ein negatives Erlebnis zu verdauen hat, der grosse hat gelernt, wie er mit unerwünschtem Verhalten Erfolg hat. Gerade auf dem täglichen Spaziergang kann sich aus einem Revierverhalten ein Kampf entwickeln, wenn keiner der Hunde ausweichen will oder an der Leine daran gehindert und seine Körpersprache vom Gegenüber nicht wahrgenommen oder vom Halter unterbunden wird. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn mehrere Hunde auf einen fremden Hund treffen. Wird ein Hund an der Leine geführt, dann hat dies meistens einen Grund. Der Hund kann ein Problem haben, zum Beispiel ein gesundheitliches. Es ist darum unfair, wenn man frei laufende Hunde zu einem angeleinten lässt.
Bist du nicht der Rudelführer, wird dich der Hund dominieren!
Diesem Irrtum wird heute noch oft nachgelebt – auf Kosten des Hundes. Ein Rudel ist eine Familie oder ein Verband von Tieren, die miteinander leben. Weil der Mensch kein Hund ist, wird er vom Hund auch nicht als solcher wahrgenommen. Die wichtigste Erkenntnis daraus: Der Mensch kann weder Rudelführer noch Alphatier sein. Zieht der Hund an der Leine, springt er am Menschen hoch, setzt er sich aufs Sofa oder springt aufs Bett, so will der Hund keineswegs seinen Halter dominieren. Der Hund zeigt dieses Verhalten aus irgendeinem anderen Grund: aus Aufregung, Stress oder weil er das weiche Sofa liebt. Aus Sicht des Hundes ist das Verhalten nicht falsch; er kann sich in diesem Augenblick nicht anders verhalten. Möglicherweise hat man ihn das erwünschte Verhalten nicht lernen lassen und keine Regeln aufgestellt. Oft lässt man Dinge einmal durchgehen und ein anderes Mal nicht, was den Hund verwirrt. «Dominierende Massnahmen» wie auf den Rücken legen, am Nacken schütteln, Schnauzengriff und so weiter sind nachweislich ebenso veraltet wie andere Strafen. Solche Interventionen führen zum Verlust des Vertrauens in den Halter und des Selbstvertrauens, denn der Hund weiss damit nicht besser, was man von ihm möchte und wird verunsichert.
Er soll es für mich tun und nicht für Leckerchen!
Für viele Menschen ist der Hund Befehlsempfänger, der zu tun hat, was man ihm sagt, und das gefälligst «für mich und nicht für Leckerchen». Bei so viel Selbstherrlichkeit sollte sich der Mensch bewusst sein, dass der Hund in mancherlei Hinsicht ein Opportunist ist. Warum soll der Hund keine Futterbelohnung erhalten, wenn er etwas tut, das aus menschlicher Sicht richtig ist? Belohnung im richtigen Augenblick verstärkt das erwünschte Verhalten oder die geforderte Aktion auf positive Art, sodass ein Lernen entsteht. Statt Leckerli können es Streicheleinheiten, lobende Worte oder Spielzeug sein. Doch Leckerchen lösen bei fast allen Hunden ein positives Gefühl aus. Das menschliche Gehirn funktioniert sehr ähnlich. Auch wir freuen uns über eine Belohnung, wenn uns etwas gelungen ist. Vielleicht reicht ein Lob, eine Glace ist auch gut, ein Bonus auf dem Lohnkonto aber noch besser.
Er ist eben ein Macho!
Das Verhalten des eigenen Hundes kann peinlich für den Halter sein. Springt er bellend in die Leine, wenn ihm der andere zu nahekommt, hört man oft den ablenkenden Spruch: «Er ist eben ein Macho!». Die Ernüchterung folgt, wenn man dem Halter schonend eröffnen muss, dass der Grund dieses Gebarens eher Unsicherheit beziehungsweise Angst ist. Von Macho also keine Spur. Sobald man etwas mehr Abstand vom Artgenossen nimmt, wird sich der Hund ruhig an der Leine vorbeiführen lassen.
Hunde brauchen in der Erziehung eineharte Hand!
Gewalt, auch sogenannte sanfte Gewalt, beginnt dort, wo das Wissen endet. Mit Gewalt wie durch Leinenruck, Würgehalsband, Wasserspritze, einer scheppernden Büchse vermag man vielleicht ein unerwünschtes Verhalten zu unterbinden. Es stellt sich nur die Frage, zu welchem Preis. Unerwünschtes Verhalten gilt es erst zu analysieren und dann an der Ursache zu verändern. Stellt man Verhalten mit gewaltsamer Intervention ab, hat sich an der Ursache nichts verändert. Der Hund meidet dann aus Angst dieses Verhalten, ohne dass sich in dieser Situation seine Gefühlslage verbessert hat. Im Gegenteil: Er wird durch das Strafen verunsichert, sein Vertrauen in den Halter zerfällt. Hunde, die ständig unter Schmerzandrohung geführt werden, stellen irgendwann einmal ihr Ausdrucksverhalten ein. Sie werden am Körper oder an der Seele krank, können aber auch zur Zeitbombe werden, wenn ein äusserer Reiz das Fass zum Überlaufen bringt. Dann beisst der Hund zu – vermeintlich grundlos, wie es dann heisst. Kein Hund und auch keine Rasse braucht eine harte Hand. Vielmehr brauchen Hunde Klarheit, Zeit und Konsequenz, wenn wir wollen, dass sie lernen, Regeln einzuhalten und von uns gesetzte Grenzen zu akzeptieren. Dabei sollten wir präventiv, fair und geduldig handeln – nicht hinterher bestrafen.
Hundesport ist notwendig, um den Triebstau zu lösen
Diese Mär geistert in Hundesportlerkreisen nach wie vor herum, obschon das Gegenteil längst bewiesen ist und ja auf der Hand liegt. Jeder Hund ist mit Trieben ausgestattet, einer davon ist der Jagdtrieb. Aufgrund des Verwendungszwecks sind gewisse Rassen mit einem stärkeren Jagdtrieb ausgestattet. Wo aber kein Reiz ist, wird auch kein Trieb sein, so kann auch kein Triebstau entstehen. Ein triebstarker Hund reagiert sensibler als ein anderer Hund auf einen Ast, der sich im Winde bewegt. So viel ist klar: Egal wie gross die endogene (innere) Triebkonstellation ist, die Jagd wird durch exogene (äussere) Faktoren ausgelöst. Triebstau gibt es nicht. Je öfters und intensiver aber der Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems) durch äussere Reize stimuliert wird, desto sensibler reagiert der Hund. Mit anderen Worten: Je mehr Ballwerfen, Zerrspiele, Voran-Training und jagdsimulierende Bewegungen, desto triebhafter wird der Hund. Aufstauen kann sich nur die Frustration, wenn exogene Reize die Triebe auslösen und der Hund sie nicht ausleben kann.
Tut er blöd, muss man ihm das abstellen!
Es schwingt Ratlosigkeit mit, wenn ein Halter fragt, wie man das «blöde Verhalten» abstellen könne. Wer seinen Hund schon beobachtet hat, weiss, dass es weder einen Schalter noch einen Druckknopf gibt, um ein Verhalten abzustellen. Oft hört man das Wort «abstellen» im Zusammenhang mit Junghunden. Wenn der Hormonhaushalt des jungen Vierbeiners verrücktspielt, kann zuweilen die menschliche Geduld strapaziert werden. In der Regel ist das «blöde Tun» das Abbild des Gefühlszustandes: Der junge Hund hat noch zu wenig gelernt und ist schlicht überfordert. Statt dem Rechnung zu tragen, meinen dann selbst berühmte Fernseh-Hundecoaches: «Den muss man richtig auspowern». Falsch, gerade umgekehrt: Mehr Ruhe, Beschäftigung für den Kopf und ruhige Spaziergänge, angemessene Sozialkontakte und ein ausgeglichener Alltag auf der einen, weniger Aufregung, Spiel und hektische Hundebegegnungen auf der anderen Seite.