Startseite»Uncategorized » »Adoleszenz

Adoleszenz

«Hirn wegen Umbau geschlossen“

Hunde in einer schwierigen Phase

Von Anfang an alles richtig machen ist der Wunsch der meisten Welpen-Eltern. Viele besuchen daher direkt eine Welpen-Schule oder beauftragen einen privaten Trainer. Sie üben mit ihm über Belohnungen und verzichten auf ängstigende Strafe. Ihr Welpe achtet sehr auf Sie, weicht Ihnen kaum von der Seite und es entwickelt sich eine ganz tolle Beziehung. Ihr Welpe geht mit Ihnen sicher durch den Alltag und das Geübte kann mit grosser Sicherheit ausgeführt werden. Trainierte Signale wie z. B. Sitz, Bleib oder der Rückruf klappen super. Sie freuen sich, wie toll Ihr junger Hund das alles macht. Zum Glück fallen nun nacheinander die spitzen Zähnchen aus und das „Beisseln“ tut weniger weh. Sie freuen sich von Anfang an alles richtig gemacht zu haben.

Bis zu dem Punkt, wo sich alles ändert:

„Hirn wegen Umbau geschlossen“. Bei dem einen früher, bei den anderen später. Meistens beginnt es kurz nach dem Zahnwechsel. Auf einmal geht (fast) nichts mehr. hr Hund entfernt sich immer weiter von Ihnen, der Radius wird größer. Er erkundet die Umwelt wie nie zuvor. An Rückruf ist überhaupt nicht zu denken. Ohren sind auf Durchzug.Die Leinenführigkeit lässt stark zu wünschen übrig. Der Hund zieht, hat es eilig, rennt hektisch von rechts nach links. Eine Schnüffelstelle nach der anderen wird genaustens inspiziert. Es wird markiert und gegebenenfalls auch Urinstellen abgeschleckt.

Ihr Hund ist kaum ansprechbar, Sie versuchen immer wieder an ihn ranzukommen, aber es scheint als habe er seine Ohren verkauft. Ihr Hund ist insgesamt stressanfälliger und kann sich nur schwer konzentrieren. Sie fühlen sich als reiner Hunde-HALTER. Er hat alles andere im Kopf, nur nicht Sie. Signale, die bisher super funktioniert haben, sind wie vergessen. Manchmal –unter geringer Ablenkung- klappt mal wieder etwas, aber meistens klappt gar nichts mehr. Reize, die bisher nie ein Problem waren, werden nun von Ihrem Hund als bedrohlich eingestuft, unterwegs knurrt er auf einmal gewisse Dinge an. Ihr Hund spielt auf einmal nicht mehr mit jedem Hund, sondern wählt seine Freunde genau aus. Fremden Hunden gegenüber ist er teilweise sehr abweisend. Ihr Hund zeigt anderen Hunden gegenüber Imponierverhalten und es kommt auch zu dem ein oder anderem Konflikt.

Sie sind frustriert. Das ganze Training der letzten Monate komplett umsonst, denken Sie.

Sie fragen sich, was Sie falsch gemacht haben, durchforsten das Internet nach Antworten. Holen sich eine zweite Meinung eines anderen Trainers ein. Sie bekommen Antworten wie:

  • Ihr Hund testet Sie nun. Das dürfen Sie ihm jetzt nicht durchgehen lassen.
  • Er ist nun im Rüpelalter, jetzt müssen Sie aufpassen.
  • Der tanzt Ihnen auf der Nase rum, lassen Sie sich das nicht gefallen.
  • Jetzt wird er dominant, zeigen Sie ihm, dass Sie der Chef sind.

Ein Teufelskreis beginnt. Jetzt in dieser wichtigen, hoch sensiblen Phase greifen viele Menschen doch zu Strafe. Jetzt wo es so wichtig ist, dem Hund zu helfen und nicht gegen ihn zu arbeiten. Jetzt wo er sehr viel Verständnis braucht für seine Entwicklung, jetzt wird sein Mensch doof zu ihm.

Was passiert? Eine vertrauensvolle Beziehung wird kaputt gamacht!

Er wird Ihr „Durchsetzen“ nicht mit seinem Verhalten in Verbindung bringen. Wie auch… Sein Gehirn ist gerade wegen Umbau geschlossen. So wie er gewisse Dinge nicht abrufen kann, die Sie mit ihm trainiert haben, genauso wenig kann er verstehen, warum Sie nun verärgert sind und er bestraft wird. Vielmehr ist er überfordert und mit Reizen überflutet. Er kann sich ganz oft gar nicht anders verhalten! Er versteht nun gar nichts mehr. Seine Bezugsperson, die er nun wirklich braucht, ist nicht für ihn da.

Das Training über Belohnung ist auch weiterhin effektiv und mit dem, was Sie bisher aufgebaut haben, haben Sie eine super Basis geschaffen. Diese ist nicht weg. Das Erlernte ist nur momentan nicht abrufbar. Wenn Ihr Hund nicht aufnahmefähig ist, brechen Sie Training ab. Es kommt eh nicht an!

Merken Sie sich: Kein Hund tut etwas um Sie zu ärgern!

In dieser hochsensiblen Phase ist es wichtig zu verstehen, was gerade in dem Hunde-Gerhin vorgeht. Nur, wenn Sie wissen, warum Ihr Hund gerade so drauf ist und Ihre Neven strapaziert, nur dann können Sie gemeinsam und vertrauensvoll die schwierige Zeit meistern! Ein Trainer, der Ihnen sagt, dass Sie sich jetzt durchsetzen müssen, den Hund mittels körperlichen Bedrohungen wie Zwicken oder Schupsen zurechtzuweisen oder auch Schreckreize wie Rappeldosen einzusetzen, um Verhalten zu bestrafen, hat ganz und gar nicht verstanden, was gerade in dem Lebewesen vorgeht. Vielleicht kennt dieser die hochkomplexen Vorgänge auch gar nicht?!

Alles verändert sich…

In der Pubertät bzw. Adoleszenzphase spielt sich im Inneren des Hundes eine ganze Menge ab. Es finden im Gehirn wahnsinnig viele «Umbauarbeiten» statt, ja man kann sagen, das Hirn wird zur Grossbaustelle. Damit verbunden sind viele Veränderungen.

  • Auf Umweltreize wird empfindlicher und intensiver reagiert. Dies bedeutet, dass Reaktionen eben oftmals emotionaler ausfallen. Dies ist leider ein guter Nährboden für Angst- und Aggressionsverhalten. Es zeigen sich oft Ängste im Bereich der Trennungsangst und Geräuschempfindlichkeit.
  • Die Grosshirnrinde, in der bewusste Vorgänge, kognitive Prozesse, planvolles Handeln, willkürliche Ausführung von Bewegungen etc. verarbeitet werden, baut Synapsen ab. Diese Synapsen sind Kontaktstellen zwischen Zellen und dienen der Signalübertragung und der Speicherung von Informationen. Hier lautet die Devise: Use it or loose it. Nur Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, die auch weiterhin benutzt werden, bleiben vorhanden, ansonsten werde diese unwiderruflich abgebaut.
  • Das bedeutet, dass bereits erlernte Signale, wie zum Beispiel «Sitz» erneut geübt und vor allem auch positiv mit Futter verstärkt werden müssen. Sonst «verlernt» der Hund die Bedeutung des Signals. Nicht anders verhält es sich mit Umweltreizen. Ist der Welpe beispielsweise zweimal mit dem Lift gefahren, dann aber lange Zeit nicht mehr, kann die Erfahrung für den pubertierenden Junghund neu sein. Damit dies nicht passiert, sollte die Sozialisierung kontinuierlich über die Welpenzeit hinaus stattfinden.
  • Dass der Teil des Gehirns, der Impulse kontrolliert, Handlungen plant und die Folgen von Handlungen abschätzt, erst später ausreift, bedeutet, dass der pubertierende Hund all das vorübergehend nicht leisten kann. Impulskontrolle und Risikoabschätzung fallen den pubertierenden Junghunden also besonders schwer.
  • Während der Pubertät kommt es auch zu einer starken Erhöhung der Produktion des Stresshormons Cortisol, wodurch die erhöhte Stressanfälligkeit in dieser Zeit erklärlich wird. Daher kann es auch passieren, dass der Hund in seiner Welpenzeit beispielsweise mit dem Brustgeschirr keinerlei Schwierigkeiten hatte und plötzlich der Meinung ist, Geschirrtragen sei gruselig. Die Körperoberfläche ist in dieser Zeit wesentlich sensibler.
  • Gesteigertes Neugierverhalten hat zur Folge, dass das Belohnungssystem viel leichter erregbar ist. Selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen größeren Stellenwert. Dem Hund fällt es schwerer, von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen abzulassen.

Dies sind die Gründe, warum der Hund für uns schwieriger einzuschätzen und zu kontrollieren wird, denn er reagiert emotionaler, wirkt auf seine Bezugspersonen unkonzentrierter und gereizter. Seine emotionale Erregbarkeit ist leichter auslösbar und er zeigt Veränderungen im Verhalten auf ihm bekannte Reize. Trennungsstress kann auf einmal wieder zur Herausforderung für eine Familie werden, obwohl man dachte, der junge Hund hätte das Alleinebleiben schon bestens gelernt. Das Spielverhalten des Junghundes verändert sich, was bedeuten kann, dass er forscher oder gar wählerischer in der Auswahl seiner Freunde wird. Konkurrenzverhalten tritt auf, sei es im Zusammenhang mit Sexualverhalten oder auch anderen Ressourcen. Der Hund fängt an sich abzunabeln und das Neugier- und Erkundungsverhalten steigert sich. Ebenso kann das Jagdverhalten zum Vorschein treten. Das Risikoverhalten der jungen Wilden ist ausgeprägter und sie können Gefahren schwerer einschätzen. Der junge Hund ist stressanfälliger und somit sind auch seine Reaktionen auf Stressoren intensiver! Und Stress können nun ganz alltägliche Dinge verursachen.

Ihr Hund braucht Sie jetzt!

Verlassen Sie sich daher bitte auf die Trainer, die wissen, was in Ihrem Hund vorgeht und auch wenn es anstrengend und nervig ist: Halten Sie durch!

Sie bekommen dafür eine tolle Beziehung zu Ihrem Hund, ein Hund, der Ihnen vertraut, eng mit Ihnen verbunden sein wird und nach der schwierigen Phase wieder ganz bei Ihnen sein wird!